13.

 

Die folgenden Geschehnisse bekam ich nur mehr durch einen Schleier der Verzückung mit, wobei ich die ganze Zeit ein wie gemeißelt wirkendes Dauergrinsen vor mir hertrug. Vom Segen des Heiligen Vaters noch völlig entrückt, registrierte ich nur flüchtig, wie er nach den salbungsvollen Worten von den jungen Geistlichen wieder aus der Kapelle geschoben wurde. Schließlich verließen alle den Raum. Stolz auf seinen neuen Protegé, machte nun auch Miracolo den Eindruck, als stünde er unter der Wirkung von Glückszäpfchen.

 

»Du bist etwas ganz Besonderes, mein Sohn«, sagte er, als wir wieder unter uns waren. »Man nimmt in diesem Staat das Wort Karriere nicht gern in den Mund, aber gesetzt den Fall, man täte es, so hast du gewiß die steilste Karriere absolviert, die man sich denken kann. Du hast uns das Wunder gebracht. Deine Schritte wurden gelenkt, damit es sich an diesem Ort erfüllen konnte. Vielleicht ist es ein Zeichen, daß das Martyrium der Ermordeten vom Himmel auf diese Weise gewürdigt wird. Oder aber …«

Er ließ sich über das Thema noch lang und breit aus und präsentierte eine religiös inspirierte Theorie nach der anderen. Doch irgendwann fiel auch ihm auf, daß der zurückliegende Tag sowohl meine Kräfte als auch meine Aufnahmekapazität restlos aufgebraucht hatte. Da er ebenso wie ich den heranrückenden Regen spürte, schlug er vor, daß ich in der Kapelle übernachten solle. Die Wärme der brennenden Kerzen würde eine kuschelige Decke für mich abgeben, meinte er, und nahm mir noch das Versprechen ab, ihn am nächsten Morgen im Domizil des Papstes zu besuchen. Dann verabschiedete er sich und verschwand durch den Türspalt.

Schon kurz darauf begann sich das Dämmerlicht vor meinen müden Augen in einen goldfunkelnden Nebel zu verwandeln, der nach und nach jeden Winkel der Kapelle ausfüllte. Das Altarkreuz auf dem Abendmahlstisch, das Weihwasser mit dem Blut darin, die alten Kirchenbänke, alles um mich herum versank schließlich in einem Meer aus gleißender Helligkeit. Am Ende hüllte der Goldnebel auch mich ein, und ich schwebte durch den strahlenden Dunst geradewegs ins Land der Träume.

Ich war wieder in den Katakomben unterwegs. Doch obwohl diesmal keine Fackeln brannten, vermißte ich kein Licht. Alles lag klar und deutlich vor mir, selbst kleinste Details blieben von Schatten verschont. So langsam wurde mir klar, daß es sich bei dem Gang, durch den mich meine Pfoten wie von einem hypnotischen Befehl angetrieben trugen, eigentlich nicht um eine Katakombe handeln konnte. Es war eine Höhle, in der es mal aufwärts, mal abwärts, mal durch geheimnisvolle Verengungen und dann wieder über Abschnitte ging, die sich seltsam schmalzig anfühlten. Ich spürte eine langsam wachsende Anspannung in mir, die mich, wie ich glaubte, auf etwas ganz Besonderes vorbereiten sollte. In dieses klamme Gefühl mischte sich auch Furcht, doch nichts hielt mich davon ab, wie ein fanatischer Suchhund immer weiterzustreben, ohne die blasseste Ahnung zu haben, was oder wem ich auf der Spur war.

Schließlich endete mein Weg an einer sandgelben Membran, welche den Durchgang lückenlos umspannte.

Es sah aus, als hätte man hier eine Wand aus einem dieser modernen Superkunststoffe errichtet. Ohne nachzudenken, fuhr ich aus der rechten Pfote die schärfste Kralle aus und schnitt einen sauberen Durchlaß in das elastische Material.

Dann schlüpfte ich hindurch und befand mich in einem sehr bizarren schneeweißen Raum. Das Inventar darin wirkte wie die Installation eines hypermodernen Künstlers. Ein hünenhaftes Gebilde in Form einer Schnecke, aus dessen Panzer eine Art Krone mit halbkreisförmigen Bögen herauswuchs, schwebte oben von der Decke. Eine lange Verbindungsleitung ging von dem rätselhaften Ding ab und verlor sich in der Weite des Raumes. Im oberen Bereich nahm die Membranwand immer mehr die Gestalt eines Schnabels an, wobei das Material sich fließend in Knorpel und dann von Knorpel in Knochen transformierte. Schließlich dockte der Schnabel mittels zarter Knöchelchen an der Schnecke an. Einige der Objekte schimmerten in der Farbe von sehr zartem Fleisch, und unter ihrer Oberfläche waren Tausende von Äderchen zu sehen, in denen Blut pulsierte.

Da passierte etwas Wunderbares. Als würden jahrhundertelang verschlossene Fensterläden aufgestoßen und endlich die Sicht auf den hellen Tag erlauben, erkannte ich mit einem Mal, daß ich mich weder in einer Höhle noch in einer Kunstgalerie befand. Ich stand im Innern eines Ohrs, und zwar jenes Fabrikats, das meiner Art zur Verfügung stand. Ich war in meinem Traum zur Winzigkeit eines Flohs geschrumpft und hatte eine Wanderung durch ein Felidae-Ohr unternommen. Der Weg, den ich gekommen war, war der Gehörgang und die Membran das Trommelfell. Die Schnecke, in die die Töne über Ohrknöchelchen und durch das Ohrfenster getrichtert werden, heißt wirklich so. Und die Krone darauf war das Gleichgewichts- oder Vestibulärorgan …

Unwillkürlich stockte ich. Warum war mir das nicht früher aufgefallen? Mir, Francis, der ich mich in der Anatomie unserer Art derart gut auskannte, daß ich sogar darüber hätte habilitieren können. Das Innenohr war nicht allein für das Hören zuständig. Sowohl beim Menschen als auch beim Tier verbarg es im Kerne den Apparat für den kostbarsten aller Sinne, nämlich den Gleichgewichtssinn.

Nur daß der Gleichgewichtssinn der Felidae zu dem des Menschen sich etwa so verhielt wie ein Formel-1-Wagen zu einem Trabi. Anders ausgedrückt: Wäre ein Mensch mit einem Vestibulärorgan wie dem unsrigen ausgestattet, könnte er weit waghalsigere Manöver vollführen als ein Trapezartist …

Ich wollte dieser überraschenden Erkenntnis noch weiter nachgehen, doch da stockte ich ein zweites Mal. Der Grund dafür war ein kaum wahrnehmbares Plätschern hinter meinem Rücken, das mir sämtliche Fellhaare zu Berge stehen ließ. Obwohl es sich um ein alltägliches Geräusch handelte, klang es nun unbeschreiblich häßlich, ja geradezu obszön. Ich riß mich herum und fühlte, wie es mir vor Grausen die Kehle zuschnürte.

Wie in meinem letzten Traum war auch diesmal die Hauptrolle erneut mit Antonios kaltherzigem Herrchen besetzt. Er trug seinen pastellfarbenen Disco-Anzug aus den Siebzigern mit dem weiten Revers und der Schlaghose und saß im Rollstuhl des Papstes. Das halb aufgeknöpfte Hemd entblößte wieder seine haarige Brust, über der ein silbernes Kruzifix baumelte. Durch die große dunkle Sonnenbrille lächelte er mich maliziös an. Der makellos gebräunte, an einer dicken Zigarre nuckelnde Macho kam diesmal jedoch kaum als leutseliger Gast bei einer Retro-Show in Frage. Denn am rechten Jackenärmel und am linken Hosenbein klafften dunkle Einschußlöcher, aus denen sich ganze Blutbäche über den schönen Anzug ergossen hatten. Er hatte vielleicht in seiner Macho-Welt einmal zuviel eine dicke Lippe riskiert und dafür die Quittung erhalten. Nichtsdestotrotz bewahrte er Haltung und tat, als sei nichts gewesen. Im Gegenteil, er war immer noch zu makabren Gesten aufgelegt. Direkt vor ihm stand der alte Taufstein aus der Kapelle, dessen Silberbecken bis zum Rand fast schwarz gewordenes Blut enthielt. Der Römer tauchte die freie Hand samt der Rolex und den goldenen Manschettenknöpfen in die dunkle Suppe hinein und rührte darin herum. Seine Finger vollführten ein neckisches Plätschern und ließen bisweilen von den Kuppen Blutstropfen abperlen.

»Das Böse besitzt viele Gesichter, Franziskus«, wiederholte er meine eigenen Worte vom Nachmittag. Sie hallten in dieser seltsamen Kammer nach wie in einer Tropfsteinhöhle. »Und es hat die Macht, sich zu verwandeln. Es kann selbst in die bravste Seele hineinfahren und sie für seine verderblichen Zwecke instrumentalisieren.«

Obwohl sich die Traummaschine Erlebnisfetzen aus der unmittelbar zurückliegenden Vergangenheit ausgeliehen hatte, erinnerte mich der Angeschossene plötzlich an einen anderen Verletzten. Wieso hatte der Macho die Schußwunden des Kapuzenmannes, dessen Verwundungen sich exakt an den gleichen Körperstellen befinden mußten?

»Damit das Böse besiegt werden kann, muß das Gleichgewicht der Welt wieder hergestellt werden, Francis«, fuhr der Verwundete fort. »Bedauerlicherweise hängt das Gleichgewicht der Welt mit dem Gleichgewicht in euren Köpfen zusammen so wie die Beschichtung von wasserabweisenden Pflanzenblättern mit modernen Autolacken zusammenhängt.«

»Ich weiß, es geht gar nicht um den Hörapparat«, sagte ich und gratulierte mir selbst, daß ich zum ersten Mal in einem Traum den Schlüssel zum Aufknacken eines Falles gefunden hatte.

Über die dunklen Brillengläser des blutüberströmten Mannes flogen sternförmige Lichtreflexionen. Sein Lächeln wurde breiter, und er pfiff leise aus einem Mundwinkel.

»Schlaues Kerlchen!« bestätigte er. »Man muß immer wissen, wo oben und wo unten, was falsch und was richtig ist. Mit einem Wort: Ihr gebt uns euer einzigartiges Gleichgewicht, und wir vollbringen das Wunder, das Gleichgewicht der Welt wiederherzustellen.«

»Du wirst scheitern«, sagte ich. »Irgendwas, irgendwer, ich, die anständigen Menschen, vielleicht sogar der Allmächtige höchstpersönlich werden dich und deine frevelhaften Taten hinwegfegen! Und das einzige Wunder, das dir widerfahren wird, wird dein heißer Auftritt in der Hölle sein!«

Das Lächeln verschwand schlagartig aus dem sonnengebräunten Gesicht, und die ganze Kälte dieses Mannes, die lediglich von lächerlichen Accessoires versteckt wurde, trat jetzt unverhohlen zum Vorschein. Er verzog die Mundwinkel, als ekle er sich vor meinen Worten, so daß die Lippen sich in einen dünnen Strich verwandelten.

»Verstehe, du bist auch nur ein Freund des unverbindlichen Friedens, des Friedens aus Sonntagsreden und scheinheiligen Fernsehdebatten. Es ist immer dasselbe. Kaum einer ist bereit, für die gute Sache Opfer zu bringen. Die Guten aber, die Helden, die wahren Christen werden den endgültigen Frieden gleich einem Wunder über die Welt bringen. Schau her!«

Er warf die Zigarre in einem hohen Bogen durch die Luft und griff mit beiden Händen in die Blutsuppe, wodurch die Flüssigkeit in Bewegung geriet. Heftige Wogen, die das Blut über den Rand des Weihwasserbeckens schwappen ließen, wechselten sich ab mit Fontänen, die in die Luft schossen, und dem lauten Geblubber von Luftblasen. Es sah aus, als versuche der Traum-Schlachter einen in Panik um sich schlagenden großen Fisch zwischen die Finger zu kriegen. Schließlich fischte er aus dem Blut ein kleines Bündel heraus und streckte es mir mit wütendem Ausdruck entgegen. Obwohl es gänzlich mit Blut durchtränkt war, erkannte ich sofort, worum es sich dabei handelte. Das bluttriefende Ding, das sich behaglich zu strecken begann, als erwache es aus einem wohligen Schlaf, war ein Artgenosse. Ich kannte diesen Artgenossen gut. Nachdem der Orientalisch Kurzhaar seine Streckübungen in den Händen seines Herrchens beendet hatte, drehte er den Kopf zu mir herum und schlug die türkisgrünen Augen auf.

»Samantha ist tot!« sagte Antonio.

Ich öffnete ebenfalls die Augen und blickte in Antonios über mich gebeugtes keilförmiges Gesicht.

»Francis, Samantha ist tot!« sagte er.

Seine Vorderpfoten preßten sich immer noch an meine Flanke. Er hatte wohl eine gute Weile an mir rütteln müssen, um mich dem tiefen Schlummer zu entreißen.

Ohne das übliche Stretching absolviert zu haben, reckte ich mich hoch und sprang auf alle vier Pfoten. Ich war auf der Stelle hellwach.

In der Zwischenzeit waren fast alle Kerzen heruntergebrannt. Ich mußte also schon einige Stunden in Morpheus’ Armen gelegen haben, was mir übrigens auch prima bekommen war – wenn man von diesem widerlichen Traum einmal absah. Hatte die Kapelle im geballten Dämmerschein noch heimelig gewirkt, sah sie nun im Licht der wenigen Kerzen wie zur Gespensterstunde aus. Der Altartisch und das Kreuz darauf glichen einer morbiden Szenerie, ganz zu schweigen von dem Weihwasserbecken, in dem immer noch das mirakulöse Blut schwamm. Doch wirklich gespenstisch, um nicht zu sagen schauderhaft hatte sich Antonios Weckruf angehört.

»Das kann gar nicht sein, il mio amico«, widersprach ich. »Dieses Monster dürfte kaum Interesse haben, ihr etwas anzutun.«

»Wieso nicht?«

In dem trüben Licht wirkte das pechschwarz bepelzte, sehnige Bürschchen beinahe wie unsichtbar. Allein die grünen Augen glühten mit der Leuchtkraft von brennendem Magnesium und durchstachen die Düsternis.

Jetzt, da er wieder in mein Leben getreten war, spürte ich so intensiv wie nie zuvor, wie sehr ich ihn die ganze Zeit vermißt hatte. Er war mehr als ein treuer Begleiter, er erinnerte mich nämlich auf seine elegante Art und Weise an den früheren, den jüngeren Francis.

Ich stand meinem jungen Ich gegenüber. Die Andersartigkeit seiner Sexualität glich in diesem Falle dem Spiegeleffekt. Man sieht sich zwar spiegelverkehrt, ist jedoch trotzdem dieselbe Person. Gott hatte gern Abwechselung in seinem Zoo. Zum Teufel mit den Vorurteilen: Ich wollte ihn am liebsten auf der Stelle küssen!

»Weil sie mit ihm unter einer Decke steckt«, fuhr ich fort. »Obwohl ich gestehen muß, daß ich keinen Schimmer habe, wie solch eine Partnerschaft des Bösen zwischen Mensch und Tier zustande kommt. Ich meine, wir sind keine Hunde, die man abrichten kann. Jedenfalls hat die feine Dame mich bewußt in die Irre geführt. Wußtest du, daß in dieser Stadt ein Geheimbund der sogenannten Theosophen existiert?«

Zunächst noch vereinzelt, dann jedoch in rascher Folge vernahmen wir beide das Aufklatschen der ersten Regentropfen auf das Kapellendach.

»Nicht allein das. Ich kann inzwischen die Ereignisse, die hinter dir liegen, in chronologischer Reihenfolge und beinahe auf die Minute genau herunterbeten. Vielleicht reiche ich das Ganze bei Cinecittà als Drehbuch ein. Glaub mir, du bist in Rom mittlerweile berühmter als Berlusconi, Francis! Die Penner vom Largo Argentina, allen voran Giovanni, diese seltsame Sancta, die Pfaffenimitatoren hier und nicht zu vergessen der lächerliche Möchtegern-Papst Miracolo haben deine Heldentaten in der Stadt in Windeseile verbreitet. Du sollst sogar ein Wunder bewirkt haben. Alle sprechen mit Ehrfurcht von dir. Sie nennen dich détective di artiglio, den Krallendetektiv.«

Der Regen nahm an Stärke zu, und was als Getröpfel angefangen hatte, war innerhalb kurzer Zeit ein gleichmäßiges Rauschen geworden.

»Wunderbar«, sagte ich. »Sobald der Job erledigt ist, stelle ich mich der Presse und lasse Autogrammkarten drucken. Um auf Samantha zurückzukommen: Sie hat mir weisgemacht, daß die Theosophen hinter den Morden stecken. Unheimlich sind diese Brüder zwar allemal, vor allem aber unheimlich skurril. Meiner Meinung nach handelt es sich bei der Theosophical Society um einen harmlosen Opa-Verein, dessen Mitglieder sich mit viel Hokuspokus und schrägen Gesangseinlagen auf das Jenseits vorbereiten. Das gilt allerdings nicht für ihren Chefpriester. Er scheint in die Morde stark verwickelt, wenn er nicht sogar selbst die Bestie ist! Sein Motiv ist mir noch verborgen, aber es kann sich nur noch um Stunden handeln, bis ich ihm auf die Schliche gekommen bin. Ich habe da nämlich eine Theorie, was es mit dem Ohr-Absäbeln auf sich hat. Samantha wollte mich aufs Kreuz legen, indem sie mir suggerierte, es würden während dieser Zeremonien unseresgleichen geopfert. Sie rechnete damit, daß ich in Anbetracht des in der Tat furchteinflößenden Theaters die Flucht ergreifen würde, bevor überhaupt etwas passiert war. So hätte ich als détective di artiglio den Fall für gelöst erklärt – und mich dabei ganz schön lächerlich gemacht. Denn alle wußten, daß der wöchentliche Theosophen-Zirkus in Wahrheit die beste Futterquelle in der Stadt ist. Aus dem großen Detektiv wäre schnell ein Clown geworden. Es kam aber, wie du ja inzwischen weißt, anders.«

»Samantha ist trotzdem tot«, sagte Antonio und trommelte mit dem dünnen langen Schwanz nervös auf den Sitz der Kirchenbank.

»Wie ist sie gestorben? Und wo befindet sich ihre Leiche jetzt?«

Der schwarze Orientale setzte eine Miene auf, als müsse er einem Schwachsinnigen beibringen, welcher Buchstabe nach A kommt.

»Was glaubst du wohl, wie sie gestorben ist? Man hat ihr ein Ohr abgetrennt. Daran ist sie verblutet. Sie liegt in Fürst Savoyens Keller, und ich kann dir verraten, es ist wirklich kein schöner Anblick.«

»Verdammt, jetzt tut sie mir trotzdem leid! Irgend etwas paßt da nicht zusammen. Ich hatte soeben einen verrückten Traum, in dem sich mir das Motiv der Morde zu zeigen schien. Du kamst übrigens auch darin vor.

Weißt du, was Bionik bedeutet, Antonio?«

»Also wenn du mich so fragst …«

»Es ist ein Kunstwort und setzt sich aus der Kombination der Begriffe Biologie und Technik zusammen. Dieses Forschungsgebiet befaßt sich mit der Übertragung der in Jahrmillionen entwickelten und optimierten ›Erfindungen der Natur‹ in die Technik. Der Mensch versucht der Natur ihre Geheimnisse abzuluchsen und sie für bahnbrechende neue Produkte und Technologien nutzbar zu machen. Doch gelegentlich bleibt es nicht beim Abgucken. In gewissen Bereichen sind wir Tiere der schönen neuen Technik haushoch überlegen – und nicht kopierbar. Es würde viel kostspielige Forschungsarbeit ersparen, wenn man das in Frage kommende Organ des Tieres einfach in die lahme Technik installierte.«

»Du meinst, der Mörder entfernt unsere Ohren, um sie zu hochempfindlichen Richtmikrofonen umzufunk-tionieren oder so etwas? Sei mir nicht böse, aber darauf wäre ich auch selbst gekommen.«

Sein strahlendes Bild vom détective di artiglio schien einen Riß zu bekommen.

»Das weiß ich, mein Freund. Aber die Sache mit dem Super-Gehör wäre auch wirklich zu einfach gewesen.

Nein, es dreht sich um das, was sich im Ohr beziehungsweise im Innenohr verbirgt. Des Rätsels Lösung ist das Vestibulärorgan, das oben auf der sogenannten Hör-Schnecke sitzt und unseren Gleichgewichtssinn bei Laune hält. Es ist eine Art Meßgerät, das Informationen über Raumlage und Beschleunigung einholt. Der Sensor funktioniert – extrem einfach dargestellt – nach dem Prinzip der Wasserwaage.

Er besteht aus mehreren mit Flüssigkeit gefüllten Kammern, die an den Innenwänden von sensiblen Sinneshärchen besiedelt sind. Bei einer Veränderung der Lage kommt die Flüssigkeit in Bewegung und stimuliert die Fühler, die umgehend dem Gehirn Bericht erstatten. So ähnlich läuft es auch beim Menschen ab. Doch bei uns ist das Ding immens hochgezüchtet. Wir können mit solch traumwandlerischer Grazie auf dem Gartenzaun flanieren, als existiere keine Schwerkraft, wir können solche akrobatischen Nummern hinlegen, als besäßen wir die Gabe des Fliegens, und uns so elegant zwischen teurem Porzellan hindurchmanövrieren, als handle es sich dabei um pure Zauberei. Nach Beobachtungen Giovannis und einer Artgenossin namens Blixa bevorzugt der Mörder junge, vor allem aber mit einem selbst für unsereins phänomenalen Gleichgewichtssinn ausgestattete Opfer.

Der Zusammenhang liegt für mich auf der Pfote.«

»Hübsche Theorie«, sagte Antonio und kräuselte die Schnurrhaare. Dabei wirkte er ziemlich reserviert. Man konnte es seinem Gesicht ablesen, daß er die Geschichte für weit hergeholt hielt. Vielleicht aber begann sich in ihm auch ein hutzeliges Neid-Männchen zu regen, weil ich als erster auf die Idee gekommen war. Sein schmales Gesicht mit den riesigen Ohren sah in dieser aufgesetzt skeptischen Pose am attraktivsten aus.

»Klingt irgendwie nach Dr. Frankenstein. Doch nehmen wir an, dieses Vestibulärorgan ist tatsächlich das Objekt der Begierde. Und nehmen wir weiter an, es handelt sich hierbei wirklich um das Wunder des Kapuzenmannes –

Giovanni hat mir von der Sache erzählt –, dann bleiben immer noch die wichtigsten Fragen unbeantwortet: Was kann ein Mensch damit anfangen? Wozu nützt ihm ein zehnfach, von mir aus hundertfach leistungsfähiger Gleichgewichtssinn? Und: In welches blöde Gerät baut er so etwas überhaupt ein?«

Nun war ich an der Reihe, den Reservierten, um nicht zu sagen Beleidigten zu spielen, da meine epochalen Gedanken angezweifelt, ja insgeheim belächelt wurden.

Und ehrlich gesagt: Ich hatte keine Ahnung, was ich ihm antworten sollte. Klang wirklich alles irgendwie nach Dr. Frankenstein.

»Ich habe einmal gelesen, daß ein selbstgelenkter Flugkörper ein technisches Pendant zu einem Gleichgewichtsorgan benötigt, weil er jederzeit wissen muß, ob er gerade steigt oder fällt oder ob seine Geschwindigkeit in der Veränderung begriffen ist«, dozierte ich ins Ungefähre. »Diese Arbeit wird gewöhnlich von einem sogenannten Navigationskreisel übernommen. Doch wenn man das Vestibulärorgan unserer Art mit einem besonders hochleistungsstarken Computer kurzschließen könnte, würde das Ding genauso wie wir in der Lage sein, ähm, seinen Kopf selbst im freien Fall horizontal und aufrecht zu halten, den Körper entsprechend der Lage des Kopfes zurechtzurücken und dann auf allen vieren zu landen.«

Ich lächelte unschuldig, als ob ich soeben ein Märchen erzählt hätte. Wieso »als ob«? Ich hatte ein Märchen erzählt!

»So, so, ein selbstgelenkter Flugkörper, der den Körper entsprechend der Lage des Kopfes zurechtrückt und dann auf vier Pfoten landet«, sagte Antonio und machte diesmal ein sehr, sehr besorgtes Gesicht. Vermutlich versuchte er gerade fieberhaft, sich an die Telefonnummer einer Irrenanstalt zu erinnern.

»Nun ja, vielleicht habe ich ein bißchen zuviel Phantasie einfließen lassen«, versuchte ich die Situation zu retten.

»Ich meine, es war ja nur eine Eingebung aus einem Traum …«

»Schon gut. Ich möchte nur noch eins wissen« sagte er, und wirkte dabei fast wütend. »Existieren bereits solche Navigationskreisel und verrichten sie ausreichend ihren Dienst oder nicht?«

»Ja«, erwiderte ich kleinlaut. »Ja, ich glaube schon.«

»Na also! Dann braucht es auch nicht eines felinen Vestibulärorgans. Entschuldigen Sie vielmals, il signor genie, das war nur die bescheidene Meinung eines einfachen schwulen Mannes aus dem einfachen schwulen Volk. Wie gehen wir nun vor?«

»Ich möchte mir gern Samanthas Leiche ansehen. Doch wie kommen wir auf schnellstem Weg und bei dem Regen trockenen Hauptes zum Palazzo? Sogar der Tiber liegt dazwischen.«

»Dreimal darfst du raten.« Antonio lächelte überlegen, weil er endlich auch mal mit seinem Fachwissen glänzen konnte. »Was glaubst du wohl, wo sich der Knotenpunkt aller römischen Katakomben befindet? Sie nehmen ihren Ausgang vom Vatikanstaat und münden im Vatikanstaat.

Ich habe den Verdacht, daß der Katakombenbau an sich eine patentgeschützte vatikanische Erfindung ist. Sorte, c’affrettiamo! Wir haben einen weiten Weg vor uns.«

Nachdem wir aus der Kapelle in den strömenden Regen herausgeeilt waren, machte Antonio innerhalb einer halben Minute einen Durchschlupf in die Unterwelt ausfindig. Es handelte sich um eine aus Basalt gehauene stillgelegte Wasserleitung aus dem Mittelalter an der Stadtmauer. Von einem ebenfalls nicht mehr funktionsfähigen großen Brunnen abgehend, bohrte sie sich nach ein paar Metern schräg in die Erde hinein und verwandelte sich von da an in eine Röhre. Antonio und ich krochen durch sie hindurch und befanden uns kurz darauf in dem modrigen Labyrinth, das mir von meinem nächtlichen Ausflug schon bekannt war. So verließen wir den Vatikan. Obwohl ich tiefer in den Gottesstaat vorgedrungen war, als es der katholischste Pilger je zu träumen gewagt hätte, war mir die Innenansicht des Petersdoms versagt geblieben!

Diesmal mußten wir auf das Licht brennender Fackeln verzichten. Doch wofür hatte uns der liebe Gott mit einem Augenpaar gesegnet, das die Nacht, wenngleich nicht zum Tag, so doch immerhin zum ausreichenden Zwielicht machte? Im Grunde war jeder Teil von uns ein hochwertiges High-Tech-Produkt! Während wir uns flotten Schrittes durch die Gänge bewegten, füllte ich Antonios Wissenslücken hinsichtlich meiner zurückliegenden Abenteuer. Er war zwar schon vom Hörensagen bestens informiert, doch konnte es nicht schaden, ihm auch Dinge mitzuteilen, die nur ich wußte.

Diesmal lauerten keine Gefahren im Reich der Finsternis.

Keine Kapuzenmänner mit Säbeln sprangen aus den Totenkammern, und keine bewaffneten Killer erschienen hinter halbverfallenen Mauervorsprüngen. Nicht einmal von Gustav war irgend etwas zu sehen. Und obwohl wir eine gute Weile unterwegs waren und hin und wieder gruselige Gerippe durch ihre weiten Augenhöhlen argwöhnisch zu starren schienen, verging die Zeit wie im Fluge.

Schließlich gelangten wir zu der im kyklopischen Gefüge gemauerten Anlage unter dem Palazzo, deren rundbogenförmige Einlässe das Eintauchen in die Katakomben ermöglichte. Von dort kletterten wir am Gitter des Fahrstuhlschachts zum Keller des Palazzos hoch. Antonio führte mich durch eingestaubte Räume, in denen sich haufenweise aussortierte Möbelstücke und Accessoires befanden. Ein Antiquitätenhändler mit Kennerblick hätte dafür mindestens einen Arm hergegeben. Dann bogen wir um eine Ecke und erblickten in der Düsternis das, wonach wir gesucht hatten.

Es hört sich ein bißchen abgebrüht an, aber diesmal war der Schock weniger erschütternd. Und das hatte einen bestimmten Grund. Auf den ersten Blick schien die Blue-Point-Birma eine schlafende Schöne zu sein, obwohl die aufgerissenen saphirblauen Augen diesem Bild Hohn sprachen. Ihr cremefarbener Körper mit dem seidigen langen Fell und den dunklen Abzeichen lag einfach auf dem Boden. Die weißen »Schuhe« an ihren Pfoten leuchteten selbst in der Dunkelheit. Sie hatte alle viere von sich gestreckt und das Maul leicht geöffnet. Die Wunde am Kopf war deutlich zu sehen, aber es war relativ wenig Blut geflossen.

Ich begab mich zu der Leiche und nahm sie genau in Augenschein. Dabei beschnüffelte ich sie intensiv und rückte ihren Kopf zur besseren Einsicht etwas zur Seite.

Obwohl ich ein medizinischer Laie war, sagte mir mein Gefühl, daß der Zeitpunkt des Todeseintritts nicht lange zurückliegen konnte. Samanthas Körper war zwar nicht mehr warm, aber auch nicht besonders kalt. Außerdem hatte die Leichenstarre noch nicht richtig eingesetzt. Ich schätzte, daß sie erst vor fünf oder sechs Stunden ihrem Killer begegnet war.

Antonio beobachtete mich aus der Ferne mit einer gewissen Erwartungshaltung. Als die ganze Angelegenheit sich immer mehr hinzog, räusperte er sich gereizt und kam schließlich zu mir.

»Was ist denn? Stimmt etwas nicht?«

»Allerdings!« entgegnete ich. »Ich fürchte, an dieser Sache ist unser guter alter Schlachter völlig unschuldig.«

»Wie bitte?«

»Du hast richtig gehört, Antonio. Für Samanthas Tod ist ein anderer verantwortlich.«

»Was redest du da für einen Unsinn! Die Wunde trägt doch eindeutig seine Handschrift.«

»Auf den ersten Blick. Aber wie du siehst, ist lediglich die Ohrmuschel entfernt worden. Der im Schädelknochen eingebettete Gehörgang, das Trommelfell, die Ohrknöchelchen, die sogenannte Schnecke und die Nervenbahnen zum Gehirn sind dabei völlig intakt geblieben. Die Schädelpartie an dieser Stelle ist im Unterschied zu den anderen Fällen ebenfalls unversehrt.

Und es gibt weder kleine Knochensplitter noch Blutspuren im Umkreis zu sehen.«

»Und was hat das zu bedeuten, großer Meister?«

Er machte nun weniger einen konfusen, denn einen unglücklichen Eindruck.

Ich drehte Samanthas Kopf zur Seite und zeigte ihm die zwei winzigen, nur bei genauerem Hinsehen ins Auge springenden Löcher am Genick.

»Sie hat wohl vor der Abtrennung des Ohrs das Zeitliche gesegnet, und zwar durch einen klassischen Genickbiß, den unsere Art so meisterhaft beherrscht.«

Antonio taumelte von der Leiche zurück, als hätte man soeben sein Weltbild zerschmettert. Sein Keil-Gesicht zuckte unwillkürlich, seine Schnurrhaare zitterten, und er öffnete und schloß den Mund, ohne daß ein Laut heraustrat. Er hockte sich weit entfernt von mir auf die Hinterbeine und schien zu versteinern.

»Wann hast du sie gefunden?« fragte ich.

»Nach Mitternacht. Als ich gestern in der Frühe aufwachte, wart ihr beide nicht mehr im Palazzo. So ging ich in die Stadt und suchte euch überall. Dabei erfuhr ich auch von deinen Großtaten. Kurz bevor ich zu dir zum Vatikanstaat aufbrechen wollte, kam mir die Idee, noch einmal nach Samantha zu sehen. Insgeheim hatte ich mich nämlich den ganzen Tag lang um sie gesorgt, weil es nicht ihrer Gewohnheit entsprach, das Grundstück weiter als bis zu den Gartenmauern zu verlassen. Sie war sterilisiert. Als ich sie dann im Haus immer noch nicht gefunden hatte, stieg ich in den Keller und …«

Seine Augen wurden nun von den ersten Tränen überflutet, die zur Nasenspitze kullerten, dort kurz innehielten, sich miteinander vereinigten und dann als schwere Tropfen herunterfielen.

»Ich hatte nie eine treuere Freundin, Francis, und nie eine verständnisvollere …« sagte er schluchzend.

»Es hat sich folgendermaßen abgespielt«, überging ich die traurige Situation. Ich wollte ihn zumindest mit der Aussicht auf die Aufklärung all des Grauens trösten.

»Samantha kannte ihren Meuchler, sie hatte Vertrauen zu ihm. Es kann sogar sein, daß sie in der Mordsache unter einer Decke steckten. Immerhin hat sie mich ja auf die falsche Spur geführt. Der Mörder, in diesem Falle eindeutig ein Artgenosse, lockte sie jedenfalls unter einem Vorwand in den Keller, sie folgte ihm ohne Argwohn. In einem unbeobachteten Moment setzte er den Genickbiß an. Sie starb auf der Stelle – und mußte doch noch einiges über sich ergehen lassen. Das Scheusal biß ihr ein Ohr ab, damit es so aussah, als sei sie nur ein weiteres Opfer der in der Stadt grassierenden Mordserie geworden. Ich wette, das gute Stück ist irgendwo hier versteckt.«

»Warum?« sagte Antonio, und in dieser schwermütigen Tonlage klang es wie eine philosophische Frage.

»Es klingt ein bißchen größenwahnsinnig, aber sie mußte wegen mir sterben. Der Mörder wußte, daß ich wieder bei ihr auftauchen und sie zur Rede stellen würde.

Und dabei wäre ganz schnell die Verbindung zu ihm hergestellt worden. So traf es sich vorzüglich, daß sich die Sache als eine weitere Schandtat des Schlächters tarnen ließ. Trotzdem war es ziemlich dumm von ihm zu glauben, ich würde den Genickbiß übersehen und schon beim bloßen Anblick einer Ohrwunde alle Logik fahren lassen. Wenigstens wissen wir jetzt, daß Samantha nicht direkt mit dem menschlichen Ungeheuer zusammengearbeitet hat, sondern nur mit dessen animalischen Adlatus.«

Diese Erkenntnisse mußten wir beide erst mal verdauen.

In der Dunkelheit des Kellers herrschte vollendete Stille, und nicht einmal eine Schabe kam um die Ecke gekrabbelt und nagte an unserer Konzentration. Samantha blickte mit ihren Edelstein-Augen ebenfalls andächtig drein, als wolle sie uns aus der jenseitigen Sphäre beistehen. Antonio regte sich nach einer kleinen Ewigkeit als erster.

»Denkst du auch, was ich denke, Francis?«

»Ich glaube schon«, sagte ich.

»Dieser dubiose Schatten, den Blixa damals in den Kolonnaden des Bernini an der Piazza San Pietro mit den zukünftigen Opfern sprechen sah, hat mit der Schweinerei zu tun.«

»Er sucht die entsprechenden Kandidaten aus und führt sie scherzend und große Versprechen machend einem Menschen zu. Dieser betäubt sie, macht sie für die Operation fertig und raubt ihnen dann Ohr und Leben. Den Rest erledigt wieder unser vierbeiniger Freund. Er bringt die Leichen weg und verteilt sie in der Stadt, in der begründeten Hoffnung, daß die abgestumpfte Welt da draußen beim Anblick verstümmelter Tierkadaver nicht gerade ein Sonderdezernat zusammenstellen wird.

Anzunehmen, daß diese wohl fruchtbarste Teamarbeit zwischen Mensch und Tier seit Tarzan und Chita erst begann, als es dem Schlächter im Vatikanstaat zu brenzlig wurde. Schließlich wäre selbst den weltentrückten Patres dort der zunehmende Schwund der Tiere auf dem Gelände irgendwann aufgefallen. Und auf die Dauer konnte er auch nicht alle vatikanischen Parks länger als Sondermülldeponie mißbrauchen. Zudem hatte er seine chirurgischen Eingriffe inzwischen derart verfeinert, daß er einen professionellen Operationssaal in abgeschiedener Lage benötigte. Die Frage ist nur, weshalb ein Artgenosse von uns sich als Handlanger für einen monströsen Felidae-Killer hergibt. Was ist der Grund?«

Wieder entstand eine Pause, diesmal jedoch von kurzer Dauer.

»Denkst du wieder, was ich denke, Francis?« fragte Antonio diesmal sehr mitfühlend, weil er wohl meine Gedanken las.

»Vielleicht«, entgegnete ich. »Aber ich wünschte, man würde mir das Denken und die tonnenschwere Last dieser grauenhaften Geschichte endlich abnehmen. Ich sitze in der Zwickmühle.«

»Ich weiß. Wenn du der Spur nicht nachgehst, versündigst du dich an unserer Rasse und läßt zu, daß ein Mörder von ungeheurer Bösartigkeit weiter sein Unwesen treibt. Und wenn du es tust und ihn wie auch immer zur Strecke bringst, machst du deine geliebte Sancta herrenlos und sorgst dafür, daß sie sich bald zu den anderen Obdachlosen im Largo Argentina gesellen muß. Francis, il mio amico, schau den Tatsachen ins Gesicht: Dieser Umberto mit seinem technischen Talent ist in deiner bisherigen Ermittlungsakte die einzige Figur, die die von dir vermuteten grausigen Basteleien zu realisieren vermag.

Außerdem arbeitet der Mann im Vatikan und hat als Sicherheitschef tags wie nachts überall Zugang.«

Ich schwieg zu seiner messerscharfen Analyse. Doch das entließ mich nicht aus meinem Dilemma. Antonio hatte lediglich die Dinge ausgesprochen, die in mir schon seit geraumer Weile rumort hatten, ohne daß ich daraus irgendwelche Konsequenzen hatte ziehen wollen.

Nichtsdestotrotz konnte ich diesen elenden Fall nicht mit offenen Augen weiter verfolgen und gleichzeitig die Augen vor dem sich bereits andeutenden Finale verschließen. Das war verrückt, und denjenigen, der so vorging, nannte man einen Verrückten. Es gab für ein solches Verhalten auch noch ein anderes Wort: Sünde!

»Wo lebt dieser Kerl noch mal?« wollte Antonio wissen.

In seinen noch von Tränen benetzten türkisfarbenen Augen loderten Rachegefühle.

»Sancta erwähnte, daß er unter der Ponte Rotto am Tiber eine karge Hütte besitzen würde.«

»Verdammter Mist, dann werden wir diese Nacht wohl doch ziemlich naß!«